Stellen Sie sich vor, Sie wollen Ihre Wohnung verkaufen. Anstatt Wochen auf einen Gutachter zu warten, bekommen Sie in 17 Sekunden eine Schätzung - mit Zahlen, die fast genau dem Verkaufspreis entsprechen. Klingt wie Science-Fiction? Ist es nicht. Seit 2024 nutzen große Maklerfirmen und Banken in Deutschland KI-Tools, um Immobilienwerte automatisch zu berechnen. Aber wie genau sind diese Systeme wirklich? Und wann sollten Sie ihnen vertrauen - und wann lieber einen Menschen beauftragen?
Wie funktionieren KI-Immobilienbewertungen?
Künstliche Intelligenz bei Immobilienbewertungen ist kein Zaubertrick. Es ist reine Datenanalyse - aber auf eine Weise, die kein Mensch schafft. Ein Tool wie Sprengnetter ist ein KI-gestütztes Bewertungssystem, das über 18 Millionen Angebotsmieten, 11 Millionen Kaufpreise und 2,4 Millionen Verkaufsdaten aus ganz Deutschland auswertet. Zusätzlich fließen Daten über Schulen, Krankenhäuser, U-Bahn-Stationen, Kriminalitätsraten und sogar die Anzahl der Bäume in der Straße ein.
Die KI sucht nicht nur nach ähnlichen Wohnungen in der Nachbarschaft. Sie analysiert Fotos von Immobilien mit Computervision: Ist die Fassade renoviert? Hat der Balkon einen neuen Geländer? Lässt sich aus den Fotos auf den Zustand des Daches schließen? Sie liest Inseratstexte mit Natural Language Processing: "Helle Wohnung mit großem Garten und ruhiger Lage" - das ist mehr als ein Werbespruch, das ist ein Datenpunkt. Und sie verknüpft das alles mit aktuellen Bauzinsen, Arbeitslosenquoten und sogar Wetterdaten, die die Nachfrage beeinflussen.
Das Ergebnis? Eine Schätzung, die in Sekunden steht - und die sich kontinuierlich verbessert. Jeden Monat lernen diese Systeme aus neuen Verkäufen. Was vor einem Jahr noch 120.000 Euro wert war, könnte heute 128.000 Euro wert sein, weil sich die Nachfrage in dieser Straße verändert hat. Kein Mensch könnte das so schnell und so umfassend tracken.
Genauigkeit: 2-3 % Abweichung vom tatsächlichen Verkaufspreis
Die Zahlen sprechen für sich. In urbanen Gebieten mit guter Datenlage - also in Städten wie Berlin, Hamburg, München oder auch Göttingen - liegen die KI-Schätzungen oft nur 2 bis 3 Prozent vom tatsächlichen Verkaufspreis entfernt. Zillow, das bekannteste amerikanische Tool, erreicht laut eigenen Angaben 97 % Genauigkeit bei seinen Zestimate-Werten. In Deutschland zeigt Sprengnetter ähnliche Werte: Bei standardisierten Wohnungen in gut dokumentierten Vierteln liegt die Abweichung meist unter 3 %.
Das ist deutlich besser als viele Menschen denken. Ein manueller Gutachter, der eine Wohnung besichtigt, kommt oft auf 5 bis 8 % Abweichung - nicht weil er schlecht arbeitet, sondern weil er nur eine Stunde Zeit hat, maximal 10 ähnliche Objekte vergleicht und persönliche Eindrücke ("Mir gefällt die Küche nicht") in die Bewertung einfließen lassen.
Ein Makler in Frankfurt hat 2024 ein Experiment durchgeführt: Er hat 87 Wohnungen mit einem KI-Tool bewerten lassen, dann mit einem traditionellen Gutachter. Das Ergebnis? Die KI lag in 68 Fällen näher am tatsächlichen Verkaufspreis. Nur in 12 Fällen war der Mensch genauer - und das waren immer Immobilien mit Sonderausstattungen: ein Dachboden mit historischen Holzbalken, ein Garten mit altem Baumbestand, eine Wohnung mit Blick auf ein Naturschutzgebiet. Für diese Fälle braucht es noch immer einen Experten.
Die fünf wichtigsten KI-Tools in Deutschland (2025)
Nicht alle Tools sind gleich. Hier sind die führenden Systeme, die Makler und Banken heute wirklich nutzen:
- Sprengnetter: Der deutsche Marktführer. Nutzt 18 Millionen Kauf- und Mietdaten, ist spezialisiert auf den deutschen Markt und bietet monatliche Updates. Ideal für Makler, die schnelle Einstiegsbewertungen brauchen.
- PriceHubble: Fokussiert auf tiefgehende Marktanalysen. Zeigt nicht nur den Wert, sondern auch, ob ein Viertel in 2 Jahren steigt oder fällt. Beliebt bei Investoren und Bausparkassen.
- Zillow Zestimate: Obwohl amerikanisch, wird es oft von deutschen Investoren genutzt, die auch in den USA kaufen. Die Genauigkeit in Deutschland ist geringer, aber die Benutzeroberfläche ist intuitiv.
- Mashvisor: Für Immobilieninvestoren. Zeigt Heatmaps mit Rentabilität, Mietsteigerung und Leerstandsquote - perfekt, um das nächste Objekt zu finden.
- ImmoScout24 Pro: Der Online-Marktplatz hat seine eigene KI entwickelt. Sie ist nicht so tiefgehend wie Sprengnetter, aber sie ist kostenlos und direkt im Portal integriert - ideal für private Verkäufer.
Wer eine schnelle erste Einschätzung braucht, kommt mit ImmoScout24 Pro oder Sprengnetter gut weg. Wer tiefere Einblicke will - etwa für eine Finanzierungsanfrage oder eine Investitionsentscheidung - greift zu PriceHubble.
Wann funktioniert KI - und wann nicht?
Ein KI-Tool ist kein Ersatz für einen Sachverständigen. Es ist ein Werkzeug - und wie jedes Werkzeug hat es seine Grenzen.
Perfekt für:
- Standardwohnungen in Städten mit guter Datenlage (z. B. 3-Zimmer-Wohnung in einer 1970er-Platte in Hannover)
- Erstbewertungen vor einem Besichtigungstermin
- Portfoliobewertungen von 500+ Objekten
- Banken, die schnell prüfen wollen, ob ein Objekt als Sicherheit geeignet ist
Nicht geeignet für:
- Einfamilienhäuser mit individueller Architektur (z. B. Bauhaus-Villa aus den 1930ern)
- Immobilien in ländlichen Gebieten mit wenig Verkaufsdaten (z. B. ein Bauernhaus in der Lüneburger Heide)
- Objekte mit besonderen Nutzungen (Wohnen mit Gewerbe, Ferienwohnungen mit saisonalen Mietpreisen)
- Immobilien, die gerade renoviert wurden - die KI erkennt oft nicht, ob eine neue Küche 15.000 oder 50.000 Euro wert ist
Ein Beispiel aus Göttingen: Ein KI-Tool schätzt ein altes Einfamilienhaus am Stadtrand mit 180 m² Grundstück und einem alten Holzofen auf 320.000 Euro. Der tatsächliche Verkaufspreis liegt bei 385.000 Euro. Warum? Die KI erkennt den Holzofen nicht als wertsteigerndes Element - sie sieht nur eine alte Heizung. Ein Mensch weiß: In dieser Gegend ist ein originaler Ofen ein Verkaufsargument. KI versteht Kontext nicht - Mensch schon.
Die Zukunft: Hybride Bewertung wird Standard
Die Zukunft gehört nicht der KI allein - sondern der Kombination aus Maschine und Mensch. Das nennt man hybride Bewertung.
Ein Makler startet mit einem KI-Tool: Er gibt die Adresse ein und bekommt in 10 Sekunden einen Wert mit einem Konfidenzintervall - etwa "310.000-330.000 Euro, Genauigkeit 92 %". Dann besucht er die Wohnung. Er prüft, ob die KI den Zustand richtig eingeschätzt hat. Er prüft, ob der Garten wirklich so groß ist, wie die Fotos zeigen. Er spricht mit Nachbarn - und erfährt, dass in zwei Jahren ein neuer Radweg gebaut wird. Das fügt er der KI-Schätzung hinzu.
Das Ergebnis? Eine Bewertung, die schneller ist als früher - und genauer als je zuvor. Laut einer Studie von RealTrends erzielen Makler, die KI als Ausgangspunkt nutzen, eine um 42 % höhere Genauigkeit bei der Prognose der Wertentwicklung in ihrer Nachbarschaft.
Banken nutzen das gleiche Modell: Ein KI-Tool filtert 500 Immobilien heraus, die als Kreditsicherheit infrage kommen. Ein Gutachter prüft nur noch die Top 20 - und spart 80 % der Arbeitszeit. Die Kunden bekommen schneller eine Finanzierung - und die Bank hat weniger Risiko.
Was Sie als Verkäufer oder Käufer tun sollten
Sie brauchen kein KI-Tool zu kaufen. Aber Sie sollten es nutzen - und wissen, wie man es richtig einsetzt.
- Starten Sie mit ImmoScout24 Pro: Geben Sie Ihre Adresse ein. Schauen Sie sich die Schätzung an - aber nicht als Endgültigkeit.
- Prüfen Sie den Konfidenzwert: Wenn die KI sagt "Genauigkeit 70 %", dann ist das ein Warnsignal. In ländlichen Gebieten oder bei Sonderimmobilien ist das normal - aber Sie sollten vorsichtig sein.
- Verwenden Sie es als Gesprächsgrundlage: "Ich habe mit einem Tool geschätzt, dass meine Wohnung bei 410.000 Euro liegt. Können wir das gemeinsam prüfen?" - das zeigt Ihrem Makler, dass Sie informiert sind.
- Verlassen Sie sich nicht auf eine einzige Schätzung: Vergleichen Sie Sprengnetter mit PriceHubble. Wenn beide sich nahekommen, ist die Schätzung vertrauenswürdig. Wenn sie sich stark unterscheiden, fragen Sie nach dem Grund.
- Warten Sie nicht auf die perfekte Zahl: KI gibt Ihnen Orientierung - nicht Wahrheit. Der endgültige Preis entsteht am Markt, nicht in einem Algorithmus.
Ein KI-Tool ist wie ein GPS: Es zeigt Ihnen den Weg - aber Sie müssen noch selbst fahren. Und manchmal muss man abbiegen, weil eine Straße gesperrt ist. Die KI weiß das nicht. Sie wissen es.